Pechsträhne

Äthiopien wirbt mit seiner jahrtausende alten Kultur und seinen vielfältigen Volksstämmen um Reisende, die sich vornemlich im Norden auf organisierten Touren bewegen sollen. Wer das Land jedoch auf eigene Faust erkunden möchte, merkt schnell, dass Fremde nicht überall Willkommen sind. Für uns stellt das ehemalige Abessinien eine grosse Herausforderung dar, zumal wir eine andauernde Pechsträhne haben.

Moyale, Kenia, 10178 km

„Wer bremst, verliert!“ Diese Motorradfahrer-Weisheit hätte ich auf der ruppigen Piste in den Simien Mountains besser beherzigt. Unterwegs geht meine Hinterradbremse fest und später zeigt sich das ganze Ausmaß des Disasters: die Bremsscheibe ist verzogen, die Bremsbeläge sind gebrochen, der Bremssattel hat sich völlig verformt.

Der Dorfschrauber ist stets bemüht, doch als er nach 2 Stunden Rumgebastel anfängt, wild auf den Bremssattel einzuhämmern, brechen wir den Improvisationsversuch ab. Nun fordern die versammelten Zuschauer lautstark eine unverschämt hohe Summe als Schrauberlohn und machen dabei richtig Druck. Erst ein mittelschwerer Wutanfall meinerseits schafft es, die gierige Bande vom Hof zu jagen.

Metallwerstatt in Äthiopien
Ein äthiopischer Meister seines Fachs

Kurzerhand bauen wir die defekte Bremse ab und fahren vorsichtig die kurvigen 92 km zurück nach Gonder. Ein DJ mit Rastamähne kennt zum Glück die beste Metallwerkstatt im Ort. Während der Chef fachgemäss unter Einsatz professioneller Technik meine Adventure wieder in Schuss bringt, liefert ein Pferdefuhrwerk den neuen Tank für einen LKW an.

Unsere neuen Bekannten, ein junges äthiopischen Künstler-Paar, bereiten mir beim Mittagessen ein „Gursha“.  Es gilt als besonders freundschaftlich, beim Essen dem anderen eine besonders üppige Portion Injera direkt in den Mund zu stecken. Abends feiern wir fröhlich die gelungene Reperatur im Club der bekannten Tänzerin Inyie Takele. Stundenlang wirbeln die traditionellen Tänzer beim dynamischer „Eskista“ durch die Gegend.

Als wir am 1. Januar nach Lalibela, dem wichtigsten Heiligtum des äthiopischen Christentums, aufbrechen, liegt der Jahreswechsel nach äthiopische Zeitrechnung schon lange zurück. Die Landstrasse zieht sich in abenteuerlichen Serpentinen durchs staubige Gebirge, aber Fahrgenuss kommt nicht auf. Etliche Male werden wir unterwegs mit Steinen beworfen und von den vielen umherziehenden Hirten mit Stöcken bedroht. Fast alle überland Reisenden berichten von derartigen Übergriffen, wobei die Fahrradfahrer am übelsten malträtiert werden. Mit Helm und voller Schutzausrüstung können uns die Flugobjekte zwar wenig anhaben, aber die Situationen stressen und machen uns wütend.

Lalibela Pilger
Pilger in Lalibela

Unterwegs teffen wir bereits auf weiss gekleidete Pilger, die mit ihren spärlichen Habseligkeiten teilweise wochenlang laufen, um das äthiopische Weihnachtsfest in dem 2500m hoch gelegenen, abgeschiedenen Örtchen Lalibela zu feiern. Dort wurden im 12./13. Jahrhundert elf Felsenkirchen mit grossem Aufwand in das rote Tuffgestein gehauen. Nachdem wir schlappe 50$ Eintritt entrichtet haben, schieben wir uns mit Tausenden Betenden und und zahllosen ausländischen Besuchern durch die steinernen Heiligtümer und engen Felsgänge der UNESCO-Weltkulturerbe-Stätte. 

Die monothonen Gesänge der orthodoxen Priester hallen Tag und Nacht über den Ort. Ein Gang durch die komplett mit Händlern, Wallfahrern, Schaustellern, Priestern, Bettlern und sonstigen Schnorrern verstopften Strassen ist eine extreme Nervenprobe. Auf den Sammelplätzen kampieren schon Tausende unter fragwürdigen hygienischen Bedingungen. , viele Menschen schlafen irgendwo auf der Strasse und täglich kommen unzählige Busse mit weiteren orthodoxen Gläubigen an. Ich habe bald buchstäblich die Nase voll und verbringe mit verstopften Stirnhöhlen einen Tag im Bett. Markus versucht derweil Benzin aufzutreiben, denn die einzige Tankstelle weit und breit hat geschlossen. Auf dem Schwarzmarkt lassen sich nach stundenlanger Suche mal gerade fünf Liter für uns beide zusammen auftreiben.

Pferdestärke
Benzinmangel – kein Problem mit Pferdestärke

Zumindest schaffen wir damit die 100 km lange Pistenetappe in die nächst größere Stadt. Aber auch hier winkt man uns bei den einzigen beiden Tankstellen nur gelangweilt weiter: „No Benzin!“. Mit reichlich geschmuggeltem Treibstoff geht schliesslich es weiter Richtung Addis Abeba. Die knapp 700 km in die äthiopische Hauptstadt schaffen Sammeltaxis in ca. 16 Stunden. Deren haarsträubenden Unfallwracks sowie unzählige umgekippte LKWs mahnen uns, auf der löchrigen Landstrasse jederzeitig vollkommen konzentriert zu fahren. Wir passieren unzählige Weiler, in denen sich Menschenn und Tuktuks knubbeln. Auf der gesamten Strecke umkurven wir riesige Herden von Rindern. Esel, Ziegen, Kamele und Schafe trotten stoisch quer über die Fahrbahn. Hunde schiessen urplötzlich quer von rechts nach links.

Rund um Addis haben chinesische Investoren gigantische Industrieparks hoch gezogen. Auch den Grossteil der Infrastruktur wurden von Chinesen errichtet. Wir hingegen erleben einen kurzen Glücksmoment, als wir im Wim’s Holland House eine waschechte, niederländische „Fritten spezial“ serviert bekommen. Gleich darauf entdecken wir, dass das zentrale Federbein meiner KTM die vielen Speedbraker nicht verkraftet hat: unter dem Motorrad hat sich eine Ölpfütze gesammelt. Mehrere Tage klappern wir erfolglos die unterschiedlichsten Werkstätten ab, keiner kann den Stossdämpfer reparieren.

Wir bewohnen ein einfaches Zimmerchen direkt neben der Bar. Das Hostel ist Treffpunkt vieler äthiopischer Intellektueller, Künstler und Expats. Wir bekommen hautnah mit, wie die hiesige Mittelschicht versucht, irgendwie über die Runden zu kommen. Oft gibt es Wochenlang  kein Wasser und aus der Steckdose kommen nur 140 Volt. Wir lernen einen jungen Psychologen kennen, der mit dem Zirkus-Projekt Suneko traumatisierte Kindern helfen möchte.

Äthiopien, das einzige Land Afrikas, das nie kolonialisiert wurde und auf 3000 Jahre Geschichte zurückblicken kann, hat in jüngster Vergangenheit reichlich Gewalt erlebt: italienische Besatzung, Bürgerkrieg, Militärdiktatur, Grenzkonflikte. Die aktuelle Politik ist von ethnischen Auseinandersetzungen geprägt. Wir bekommen die feindselige Stimmung im Land auch in der Haupstadt zu spüren. Ein anderer Hotelgast wird auf offener Strasse angespuckt. Hinter Markus Rücken fuchtelt jemand drohend mit den Armen um sich kurz darauf mit wild aufgerissenen Augen wieder abzuwenden.

Rastafari
Good vibration mit grauem Haar

Wir wollen längst so schnell wie möglich das Land verlassen. Einen letzten Zwischenstop legen wir in der Rastafari-Stadt Shashemene ein. Als 1930 der Regent Ras Tafari Makonnen zum Kaiser von Äthiopien gekrönt wurde, sahen die Anhänger des jamaikanischen Predigers Marcus Garvey in ihm den prophezeiten afrikanischen König, der die Schwarzen befreien würde. Es entstand die Bewegung der Rastafaris, die den äthiopischen Regenten als eine Art Gott verehrten. In den 70er Jahren kamen deshalb viele karibische Rastas nach Zion, ins gelobte Land Äthiopien, und siedelten sich im Stadtteil „Jamaica“ an. Heute erinnern in erster Linie einige knallbunte Souvenirbuden und die jugendlichen Marihuana-Dealer an das ehemalige Glaubenszentrum. In der Banana Art Galerie des Künstlers Ras Hailu lebt aber noch ein Hauch der Rasta-Kultur fort. 

Als wir endlich in Kenia einreisen, bemerkt ein Grenzbeamter, dass ich auf meinem Passfoto aber bedeutend jünger aussehe als heute. Wie charmant, das Bild ist erst wenige Jahre alt! Die letzten Wochen haben stark an unser beider Gesundheit gezehrt und uns fast die Reiselust genommen. Doch bei einer Flasche kenianischem Tusker-Bier kehrt der Elan langsam wieder zurück.

 

9 Kommentare bei „Pechsträhne“

  1. Das liest sich zwar sehr spannend , erzeugt aber keinen „Haben Will“ Effekt.
    Wünsche Euch, dass die Tusker-Kur hilft und Ihr verdient netter aufgenommen werdet.

    1. Die Kur hilft auf alle Fälle! Kenia ist wirklich schön und die Menschen hier sind ungemein freundlich.
      Strapazen gehören irgendwie zum Reisen dazu und sind schon fast vergessen. LG

  2. Das schlimmste habt ihr wohl nun überstanden. Jetzt wartet der Urlaub auf euch und ihr könnt euch den Passfotos wieder angleichen. Haltet weiterhin die Ohren steif!

  3. Eieiei. Seid getröstet, Euer Mitschrauber hat sich bei miesem deutschen Winterwetter unelegant auf die Fresse gelegt und vegetiert nun mit schnöden Rippenprellungen und anderen netten Souveniers vor sich hin und muss die nächsten Wochen um die Frickelhalle einen grossen Bogen machen 🙁

    1. Ui, Frankie, Karneval kommt doch erst noch!? Du Jeck!

  4. auch ich drücke Euch die Daumen für´s „angleichen“. :o)

  5. Margrit und ich haben gerade den letzten Reisebericht gelesen und waren zwischendurch ein bisschen aufgeregt. Jetzt sind wir froh, dass Ihr gut in Kenia gelandet sind und wünschen Euch eine gute Weiterreise! Herzliche Grüße, Markus, von Deiner Mutter und von Deiner ehemaligen Babysitterin haha Renate … (auch an Jutta selbstredend!!)

  6. Jeder Kontinent hat offensichtlich seine “Dreckshölle„😉….für Afrika scheint es Äthiopien zu sein. Lasst es euch ab jetzt nur noch gut gehen. Keine Heuschrecken, bald Euren 1. Elefanten und ansonsten viele nette Menschen wünschen Christa & Olli 😘

  7. da ist ja alles dabei. macht mal ne pause zum auftanken!

Kommentare sind geschlossen.